Aktionsbündnis
,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
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Fall: Das Tagebuch aus der NS-Zeit


Ein Stadtarchiv möchte das neuentdecktes Tagebuch eines lokalen NS-Funktionärs, dessen Erben unauffindbar sind, digitalisieren, ausstellen und in einem Katalog mit wörtlichen Zitaten vorstellen. Das ist verboten!

Es gibt keinen gutgläubigen Erwerb urheberrechtlicher Nutzungsrechte. Auch wenn der Urheber bzw. seine Erben trotz intensivster Bemühungen nicht auffindbar sind, darf keine Veröffentlichung eines urheberrechtlich geschützten Werks ohne Zustimmung des Berechtigten erfolgen. Dies gilt so lange, bis das Urheberrecht erlischt, nämlich 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Während dieses Zeitraums können auch bisher nicht auffindbare Erben die Verwertung untersagen.
Auch in wissenschaftlichen Arbeiten darf aus unveröffentlichten Quellen nach dem Wortlaut des Gesetzes ( 51 UrhG) nicht einmal zitiert werden. Dass dies die zeithistorische Forschung, die sich bislang vilefach über solche Beschränkungen hinweggesetzt hat, extrem behindert, liegt auf der Hand. Rechteinhaber können nach Belieben unliebsame Veröffentlichungen verhindern. (Dies ist z.B. die Praxis des Freistaats Bayern, an den nach dem Krieg die Urheberrechte von Adolf Hitler gefallen sind, so dass derzeit keine legalen wissenschaftlichen Gesamtausgaben von "Mein Kampf" möglich sind.)
Angesichts der extrem langen Frist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers gibt es bei unveröffentlichten Unterlagen in vielen Fällen eine recht umfangreiche Erbengemeinschaft, wobei jeder Angehörige einer Nutzung zustimmen muss. In den wenigsten Fällen werden urheberrechtliche Nutzungsrechte testamentarisch einer bestimmten Person oder Institution übertragen.
Die vom Archiv geplante Ausstellung würde nach herrschender Ansicht gegen das Erstveröffentlichungsrecht des Urhebers ( 12 UrhG) verstoßen. Sogar eine bloß Inhaltsangabe verbietet § 12 Abs. 2! Dies mag zum Schutz von normalen Buchveröffentlichungen vielleicht geboten sein, aber bei ungedruckten Materialien, deren Nutzung oft erhebliche Zeit nach ihrer Entstehung aus historischem Interesse erfolgen soll, ist das ebensowenig akzeptabel wie das strikte Verbot wörtlicher Zitate ( 51 UrhG).
Die wünschenswerte Einbeziehung der Archive in die On-the-spot-consultation des geplanten § 52b würde sich nur auf veröffentlichte Werke beziehen, also Unveröffentlichtes ausklammern.
Die Digitalisierung wäre nur im Rahmen des § 53 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 UrhG möglich. Es ist zwar allgemein üblich, aus Gründen der Bestandserhaltung gefertigte Kopien dem Benutzer statt des Originals vorzulegen, aber dies stimmt nicht mit der herrschenden Auslegung des § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UrhG überein, wonach für ein "eigenes Archiv" gefertigte Kopien von einem eigenen Werkstück nicht von Dritten genutzt werden dürfen.
Die reine Vorlage der urheberrechtlich geschützten Archivalien scheint dagegen aufgrund des Urteils "Jüdische Friedhöfe" des OLG Zweibrücken (GRUR 1997, 363) möglich zu sein, wenn das Archiv nur bei Geltendmachung eines bestimmten Interesses Einsicht gewährt.
Vorgeschlagene Gesetzesänderung: Hinsichtlich des Veröffentlichungsrechts von Archivgut müssen neue Regelungen gefunden werden, die dem grundrechtlich geschützten Interesse der zeitgeschichtlichen Forschung Rechnung tragen. Der Gesetzgeber sollte desgleichen Regelungen für den sehr häufigen Fall vorsehen, dass die Ermittlung von Nutzungsberechtigten mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist oder dass zu viele Erben mitsprechen können. Im Rahmen der zu begrüßenden vorsichtigen Erweiterung des § 51 UrhG, wie sie im Referentenentwurf vorgesehen ist, sollte die Beschränkung auf veröffentlichte Werke gestrichen werden, da möglicher Missbrauch durch die generalklauselartige Rückbindung an die anständigen Gepflogenheiten ausgeschlossen werden kann.


    Literatur und Links
Gesetzestexte und Referentenentwurf
  • Urheberrechtsgesetz (UrhG), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.9.2003 (sog. "erster Korb")
  • Referententwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft mit Begründung
  • Von Dr. Ole Jani, wiss. Mitarbeiter der FPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, erstellte Synopsis, die das geltende Urheberrecht und die Änderungen durch den Referentenentwurf gegenüberstellt
  • Richtlinine 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
Stellungnahmen
  • DINI-Stellungnahme 6.5.2004
  • Ulrich Sieber, Memorandum zur Berücksichtigung der Interessen des Bildungsbereichs bei der Reform des Urheberrechts, 2004
  • HI-Stellungnahme zum Referentenentwurf für den 2. Korb
  • Kurzstellungnahme des Aktionsbündnisses "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" zum Referentenentwurf
Sonstige Literatur zum Urheberrecht

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