Pressemitteilung 2/08
vom 24. Juli 2008
Vorsichtiger Optimismus — Bewegung im europäischen Urheberrecht? Ein neues Grünbuch der EU-Kommission
Zusammenfassung
Das neue Grünbuch der EU-Kommission Urheberrechte in der
wissensbestimmten Wirtschaft von Mitte Juli eröffnet die
Debatte um ein Urheberrecht, das besser als die alte EU-Richtlinie von
2001 den aktuellen elektronischen Entwicklungen der
Informationsverbreitung in der Wissenschaft und im Bildungsbereich
Rechnung tragen soll. Zwar stehen auch in diesem Grünbuch nach
wie vor die Chancen der kommerziellen Verwertung von Wissen und
Bildung im Vordergrund der Überlegungen der Kommission. Das
Aktionsbündnis sieht jedoch durchaus Chancen, dass die Kommission
durch entsprechende politische und zivilgesellschaftliche
Einflussnahme bewegt werden könnte, die Belange von Wissenschaft
und Bildung, die einen barrierefreien und offenen Zugang zu
Informationen benötigen, besser zu berücksichtigen. Auch
zeichnen sich neue Möglichkeiten für die elektronische
Bereitstellung und Dokumentlieferung durch Bibliotheken sowie für
verwaiste Werke ab. Zumindest werden entsprechende Fragen formuliert,
die bis zum 30.12.2008 von den verschiedenen Interessengruppen
beantwortet werden sollen. Die Kommission führt bis zum
30.11.2008 eine öffentliche Konsultation zum Grünbuch
durch. Das Aktionsbündnis fordert alle Organisationen,
Gesellschaften und Verbände im Bereich Bildung und Wissenschaft
auf, sich an der Konsultation zu beteiligen und die Chance zu nutzen,
auf die europäische Urheberrechtspolitik Einfluss zu nehmen. Die
aus dem Grünbuch hervorgehende neue EU-Richtlinie wird auch
für die deutsche Gesetzgebung Folgen haben
Hintergrund
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Datum 16.
Juli 2008 ein neues Grünbuch vorgelegt, das den Titel trägt
Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft.
Das Grünbuch soll eine Diskussion in Gang bringen, in
welcher Form Informationen, die für Forschung, Wissenschaft und
Unterricht von Belang sind, am besten online verbreitet werden
können.
Die Kommission hat im Grünbuch 25 Fragen formuliert und alle
Interessengruppen aufgefordert, bis spätestens 30.11.2008 dazu
bzw. zum Grünbuch insgesamt Stellung zu beziehen. Das
Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und
Wissenschaft wird diese Gelegenheit wahrnehmen. Dies ist umso
wichtiger, als die entsprechenden Regulierungen im deutschen
Urheberrecht sehr stark und sehr restriktiv durch die Vorgaben der
jeweiligen EU-Richtlinie bestimmt werden. Schon jetzt eine erste
Einschätzung:
Ein Grünbuch soll in der Regel in eine für die
Mitgliedstaaten verbindliche Richtlinie münden. Wenn in
Deutschland das Urheberrecht tatsächlich im Rahmen des
ausstehenden Dritten Korbs bildungs- und
wissenschaftsfreundlich gestaltet werden soll, wie es der
Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung vorsieht, dann wird man
jetzt an den notwendigen Verbesserungen auf der Ebene der EU
mitarbeiten müssen.
Gibt es also Hoffnung für eine wissenschafts- und
bildungsfreundliche EU-Richtlinie? Grundsätzlich betrachtet die
EU weiterhin Wissen und Bildung (auch Humankapital genannt) als
Wirtschaftsgüter oder Produkte und Dienstleistungen. Das
Aktionsbündnis wird die Politik weiter davon zu überzeugen
suchen, dass Wissen und Bildung nicht alleine Gegenstand kommerzieller
Verwertung sein dürfen, sondern Gemeinschaftsgüter sind.
Zumindest das mit öffentlichen Mitteln produzierte Wissen
muss grundsätzlich frei verfügbar sein, so fordert es
der Sprecher des Aktionsbündnisses, Prof. Rainer Kuhlen.
Dieses Wissen darf nur mit einfachen Nutzungsrechten an die
Verlage abgegeben werden. Den Urhebern, hier den Wissenschaftlern,
muss das ,Grundrecht' (so forderte es auch z.B. die
Max-Planck-Gesellschaft) verbleiben, ihre Werke ergänzend zur
kommerziellen Verwertung frei zugänglich zu machen.
Das Aktionsbündnis hält es im öffentlichen Interesse
liegend, wenn auch die EU dieses Prinzip der freien
Zugänglichkeit jeder Urheberrechtsregulierung zugrundelegen
würde. Gerade diese freie Nutzung kann den Verlagen die
Möglichkeit eröffnen, um über neue
Geschäftsmodelle in elektronischen Räumen dennoch Gewinne zu
erzielen. Dieses scheinbare Paradox kann und muss aufgelöst
werden.
Das Aktionsbündnis begrü?_t, dass die Kommission nun in
Frage stellt, ob Ausnahmen von den exklusiven Verwertungsrechten
weiterhin nur über die in der EU-Richtlinie von 2001 formulierte,
abgeschlossene Liste zugelassen werden sollen. Die EU Kommission fragt
daher an, ob es nicht neue Schranken z.B. mit Bezug auf verwaiste
Werke geben soll, also für solche Werke, für die die
Rechteinhaber nicht ausgemacht werden können, die aber dennoch
jetzt digitalisiert werden sollten. Ebenso wird nach einem Bedarf
für weitere Schranken für die Nutzung von Wissen durch
Menschen mit Behinderung gefragt. Diese Fragen sind eindeutig zu
bejahen. Fast schon revolutionär, aber auch gefährlich fragt
das Grünbuch zudem an, ob es auch eine Ausnahme für von
Nutzern geschaffene Inhalte geben soll. Das bezieht sich wohl auf das
kollaborative Arbeiten in den sozialen Diensten von Web 2.0.
Bewegung in die richtige Richtung erscheint auch bei Schranken
zugunsten der Bibliotheken möglich. So hinterfragt das
Grünbuch die jetzige Regelung, dass die von Bibliotheken
digitalisierten Werke nur an speziellen Arbeitsplätzen in den
Bibliotheken eingesehen werden dürfen. Angesichts der Tatsache,
dass jeder Forscher und jeder Studierende über die Netze mit den
eigenen Rechnern im Prinzip von überall auf diese Werke zugreifen
könnte, erscheint eine solche Regelung tatsächlich obsolet.
Weiterhin fordert die EU Wissenschaftler auf, sich dazu zu
äu?_ern, welche neuen Verteilungsformen für elektronische
Dokumente heute sinnvoll sind. Hierdurch könnte sich
?Dnderungsbedarf bezüglich der für Bildung und Wissenschaft
fatalen §§ 52b und 53a des deutschen Urheberrechts ergeben, die zum
einen die Benutzung digitaler Bibliotheksbestände stark
beschränken und zum andern die elektronische Dokumentlieferung,
z.B. durch subito, derzeit kaum möglich machen.
Das Aktionsbündnis hält daher ein allgemeines
Ausnahmeprinzip im Urheberrecht, wie es durch das US-amerikanische
Fair-use-Prinzip gegeben ist, für geeigneter, um besser auf
technologische Neuentwicklungen reagieren zu können.
Noch weitergehender fordert das Aktionsbündnis, schon auf der
EU-Ebene ein spezielles Privileg für Wissenschaft und Bildung und
für die sie versorgenden Bibliotheken und
Informationsvermittlungseinrichtungen im Urheberrecht zu verankern.
Das Aktionsbündnis ruft alle Organisationen, Fachgesellschaften
und Verbände sowie auch betroffene Wissenschaftler und
Privatpersonen auf, Stellungnahmen zu dem Grünbuch abzugeben, so
dass das Feld nicht den Lobbyisten der Informationswirtschaft
überlassen bleibt. Das Grünbuch stellt für Eingaben die
folgende Email-Adresse bereit: markt-d1@ec.europa.eu.
Von der Grundtendenz her schätzt das Aktionsbündnis das
Grünbuch mit vorsichtigem Optimismus ein. Es könnte Bewegung
in das bislang dogmatisch sehr strenge und auf kommerzielle Verwertung
gerichtete Urheberrecht kommen. Die Chance, die in der aktuellen
Diskussion um das Urheberrecht auf der Ebene der EU liegt, sollte
genutzt werden. Der Bundestag hat beschlossen, einen Dritten
Korb zum Urheberrecht auf den Weg zu bringen, bei dem Bildung
und Wissenschaft im Zentrum stehen sollen. Die Vorbereitungen dazu
sollten im Kontext der Fragen des EU-Grünbuchs erfolgen.
Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft
Das Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
(http://www.urheberrechtsbuendnis.de/) wurde 2004 im Zusammenhang mit
der Novellierung der Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland
gegründet. Das Aktionsbündnis setzt sich für ein ausgewogenes
Urheberrecht ein und fordert für alle, die zum Zweck von Bildung und
Wissenschaft im öffentlichen Raum tätig sind, den freien Zugang zur
weltweiten Information zu jeder Zeit von jedem Ort. Grundlage des
Aktionsbündnisses ist die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für
Bildung und Wissenschaft vom 5. Juli 2004. Diese Erklärung wurde
unterzeichnet von sechs Mitgliedern der Allianz der
Wissenschaftsorganisationen (Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der
angewandten Forschung e.V., Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher
Forschungszentren e.V., Hochschulrektorenkonferenz,
Max-Planck-Gesellschaft, Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm
Leibniz e.V. und Wissenschaftsrat), von über 350 wissenschaftlichen
Fachgesellschaften, Informationseinrichtungen und Verbänden sowie von
mehr als 6.900 Einzelpersönlichkeiten. Sprecher des Aktionsbündnis sind
Prof. Dr. Kuhlen (Konstanz), Dr. Müller (Heidelberg), Dr. Sepp
(Kassel). Weitere Informationen über Nachfrage an: rainer.kuhlen at
uni-konstanz.de, hmueller at mpil.de und sepp at physik.uni-kassel.de.
|
Next Relevant Dates |
6. November 2020
Jahrestagung des Aktionsbündnisse (online)
Ein Status-Überblick zum Urheberrecht — national und in Europa
Programm und Anmeldung
|
News |
April 6th 2021
The coaltion of action takes a position on the "draft law to adapt copyright law to the requirements of the digital single market".
Opinion of April 6, 2021 on the Draft Law.
Opinion of Februar 22, 2021 on the Draft Law.
Opinion of November 6, 2020 on the Draft Bill.
|
October 7th 2020
Published by de Gruyter:
Rainer Kuhlen, „Die Transformation der Informationsmärkte in Richtung Nutzungsfreiheit — Alternativen zur Als-ob-Regulierung im Wissenschaftsurheberrecht“.
Online unter DOI: 10.1515/9783110693447
|
February 28th 2018
UrhWissG comes into force — not a big progress, but greater legal certainty and some improvements
(Press Release)
|
November 20th 2017
All presentations given at our anual meeting on November 8, 2017 are available online:
(Presentations).
|
June 7th 2017
The copyright reform (UrhWissG) was passed — facilitation, but no reason to cheer
(Press Release)
|
June 26th 2017
An appeal to the German Bundestag: The UrhWissG has to be passed without restrictions within this legislative period.
The Coalition for Action calls on the two chairmen of the CDU/CSU and of the SPD, Volker Kauder and Thomas Oppermann,
to release the governmental draft for the German Copyright Act for the vote in the Bundestag, and then
we call the members of the Bundestag to eatablish the law without restrictions.
(Press Release)
|
May 22nd 2017
FAZ, you can not win this fight — distorted journalism in terms of copyright by publisher and managing director of FAZ newspaper
The action alliance criticizes the open letter of the editors and managing directors to the German Bundesrat of 12.5.2017 and of the 18.05.2017 to the deputies of the German Bundestag.
Through these letters the "makers" of the newspaper try to exert pressure on the legislature. This behavior can only be described as unusual and extremely dubious.
(Press Release)
|
May 10th 2017
Der Bundesrat sollte sich nicht von den Untergangsszenarien des Börsenvereins blenden lassen.
Wir haben in einer Stellungnahme an den Bundesrat diesen aufgefordert, den Gesetzesentwurf zum
„Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz — UrhWissG“ anlässlich seiner Plenarsitzung am
12. Mai 2017 nicht aufzuhalten, sondern im Prinzip zu unterstützen.
(Press Release).
|
April 27th 2017
Die Zeit drängt: Bildung und Wissenschaft brauchen eine Reform des Urheberrechts!
Wir unterstützen weiter den vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf für eine Reform des Urheberrechts, jedoch
bedauern wir die Verschlechterungen des Regierungsentwurfs im Vergleich zum Referentenentwurf.
(Press Release)
|
February 14th 2017
We make you aware that on the website
www.publikationsfreiheit.de is being tried, to manipulate
the public and in particular the authors in education and science with incorrect claims in favor of
publishers' interests.
(Press Release).
|
January 24th 2017
The way has not yet come to an end — but the direction is right
The Coalition for Action sees in the draft bill for a "Copyright Law Knowledge Society Act —
UrhWissG" from the ministry for justice an important step in the direction of an education and science-friendly copyright law.
(Press Release)
|
December 21st 2016
The road to the One General Exception for Education and Research (ABWS) should now be free now & mdash; Go ahead, Minister Maas!
(Press Release).
|
December 15th 2016
KMK, VG Wort and HRK must finally create clarity
The joint press release of KMK, VG Wort and HRK from 9 December 2016 is a source of uncertainty and confusion in the universities.
What should actually be done with the electronic semester apprentices from 1 January 2017? Further is currently
deleted or placed texts invisible. There is a need for action!
(Press Release)
|
December 12th 2016
And they seem to still be able to move - KMK and VG-Wort. And the university rector conference (HRK) is now on board.
However, the transitional regulation from the beginning of 2017 is still unclear.
Debt to the present obvious disaster around the framework
contract to § 52a UrhG is ultimately the intolerable delay tactics of the policy.
(Press Release).
|
November 23rd 2016
Folder with our recommendations for dealing with the framework contract between KMK and VG-Wort to § 52a UrhG has been published.
(Press Release)
|
November 16th 2016
Offener Brief an den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas: „Bitte lassen Sie den Schleier von
diesem verdeckten Objekt [dem Entwurf einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht] wegreißen!
Der Öffentlichkeit ist das Spiel mit Andeutungen nicht länger zuzumuten.“
(Letter).
|
older news is available from our archive |
Publications |
-
All presentations given at our anual meeting von November 8, 2017 are online available:
-
Was wissen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
über ihre Urheberrechte,
wie handeln sie, und was wünschen sie?
- Studie im Auftrag des Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft e.V.
-
Folder with our recommendations for dealing with the framework contract between KMK and VG-Wort to § 52a UrhG
- Version: 22 November 2016
- Format: A4 duplex
-
Folder on our Current Demands
- Version: August 2015
-
Folder on a Comprehensive Copyright Clause in Support of Education and Science
- Version: August 2015
-
Folder on the Right for a Second Publication for Scientific Articles
- Version: July 2015
-
Information als Vitamin für Innovation: Schranken oder Lizenzen für Forschung und Lehre?
- Compilation for the annual meeting on October 10, 2013
-
Breite Unterstützung für eine umfassende Verbesserung des Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft
- Evaluation of a survey and policy implications, September / October 2011
|
Relevant Links |
facebook page of the Coalition
IUWIS
project is developing a social networking for the topic of copyright in
education and research.
|
|
|