Pressemitteilung 02/16
vom 11. Oktober 2016
Der Bildung und Wissenschaft irritierende Unsinn geht einfach weiter
Zum Rahmenvertrag zur Vergütung von Ansprüchen für Nutzungen nach § 52a UrhG an öffentlichen Hochschulen
Das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ kritisiert, dass die Anwendung des derzeit geltenden
Wissenschaftsurheberrechts immer undurchschaubarer und immer unbrauchbarer — man ist versucht zu sagen, auch immer grotesker
und satireverdächtiger wird.
Aktuelles Beispiel ist die nun anstehende Umsetzung des zwischen der Kultusministerkonferenz (KMK) als Vertreter der Länder und
der Verwertungsgesellschaft Wort (VG-Wort) ausgehandelten Rahmenvertrags zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52a UrhG,
hier veröffentlicht. [Ein
entsprechender Rahmenvertrag ist wohl auch schon für Nutzungen nach § 52b UrhG zwischen der KMK und der VG Wort und der VG
Bild-Kunst vereinbart. Er ist aber (mit Datum 10.10.2016) noch nicht veröffentlicht. Update: Der § 52 b Rahmenvertrag ist inzwischen online verfügbar.]
Die VG-Wort, die der KMK diesen Vertrag abgerungen hat und diesen nun den in Bildung und Wissenschaft Tätigen zumutet, ist kaum
noch als Vertretung der Interessen von Bildung und Wissenschaft anzusehen. Die bei weitem größte Gruppe, die der
öffentlich-finanzierten Wissenschaftler, hat in der VG keine ihrer Urheberanzahl angemessene Stimmgewalt, so dass deren
Interessen in der VG Wort kaum angemessen vertreten werden. Das zeigt sich jetzt erneut. Es ist daher zu überlegen, ob nicht eine
eigene Verwertungsgesellschaft für Bildung und Wissenschaft gegründet werden sollte.
Den Ländern und den einzelnen Hochschulen und ihren nach § 2 Absatz 2 des Rahmenvertrags gleichgestellten
Forschungseinrichtungen wird dringend geraten, diesem Vertrag nicht beizutreten. Die Landeshochschulkonferenz Niedersachsen hat
schon einstimmig beschlossen, diesen Schritt zu vollziehen. Und mehrere andere Zusammenschlüsse von Hochschulen und ihren
Vertretungen in anderen Bundesländern werden wahrscheinlich bald mit einer entsprechenden Empfehlung diesem Beispiel folgen.
Wie ist diese harsche Ablehnung des Vertrags zu begründen? § 52a UrhG regelt bekanntlich das Verfahren, in welchem Umfang
urheberrechtlich geschützte Werke für Ausbildungs- und Forschungszwecke elektronisch bereitgestellt und genutzt werden dürfen.
Erlaubt ist das für die Ausbildung „ausschließlich für den bestimmt abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ und
für Forschung „ausschließlich für einen bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen für deren eigene wissenschaftliche Forschung
“. Man darf also diese Werke nicht allgemein zur Nutzung für jedermann in der Ausbildung oder in der Forschung online
stellen. Das ist sicher o.k., und so verfährt auch der Rahmenvertrag.
Der Rahmenvertrag übernimmt allerdings auch die Einschränkung aus § 52a UrhG, dass nicht ganze Werke genutzt werden dürfen,
sondern, je nach Anwendung, nur kleine Teile eines Werkes (max. 12% eines Schriftwerks, aber nicht mehr als 100 Seiten), Teile
eines Werks (max. 25% eines Schriftwerks, aber ebenfalls nicht mehr als 100 Seiten) oder Werke geringen Umfangs (bis zu 25
Seiten). Die Quantifizierung (12% etc.) steht allerdings nicht im Gesetz. VG-Wort und die Länder haben sich u.a. an dem Urteil des
BGH (Meilensteine der Psychologie vom 28.11.2013, Az. I ZR 76/12) orientiert.
Sich am BGH zu orientieren, kann auch von Vorteil sein. Und in einem Vertrag kann man auch, wenn sich die Vertragspartner
einig sind, über die im Urheberrechtsgesetz geltenden Regelungen hinausgehen So steht jetzt in § 1 des Rahmenvertrags, dass
die Nutzung nicht länger auf Veranschaulichung im Unterricht begrenzt ist, sondern auch für die den Unterricht begleitenden
Handlungen der Studierenden. Ebenso ist jetzt, legitimiert durch die Anwendung von § 53 UrhG auf § 52a, das Speichern
und Ausdrucken, nicht nur die Ansicht der bereitgestellten Texte bzw. deren Teile
Im Übrigen ist auch ansonsten ein Vertrag ein Vertrag, und wenn sich die Vertragspartner einig sind, dann kann dieser auch über
die Regelungen im Urheberrecht hinausgehen. So ist es z.B. 2010 durch den Gesamtvertrag zur Vergütung von Ansprüchen durch Nutzung
an Schulen nach § 52a UrhG an den Schulen geschehen. Danach sollte nicht mehr, wie in § 52a an sich vorgeschrieben, für
jede Nutzung die Zustimmung des Rechteinhabers eingeholt werden. Allerdings wurde diese Befreiung im Folgevertrag 2014 wieder
zurückgenommen.
Solche vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten hätten auch an anderen Stellen des Rahmenvertrags ausgeschöpft werden können:
Wohl jedermann in Bildung und Wissenschaft empfindet die oben erwähnten Umfangsbeschränkungen für die Nutzung von Werken einfach
als unsinnig und auch als ungerecht. Vor allem sind sie in der Praxis nicht durchzuhalten. Daran können auch die an Satire
grenzenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des BGH-Urteils „Meilensteine der Psychologie“ nichts ändern.
Die im Jahr 2003 in § 52a vorgenommenen Einschränkungen waren in erster Linie der Intervention der Verlage geschuldet. Und
nun wird es interessant:
In einem weiteren Urteil des BGH (Verlegeranteil vom 21. April 2016, Az. I ZR 198/13) ist endgültig entschieden worden, dass den
Verlagen auf der Basis geltenden Rechts kein Anteil an den Ausschüttungen der VG-Wort zusteht (und, obwohl praktiziert, auch nicht
zugestanden hat). Alles steht den Autoren und Autorinnen als ursprünglichen Rechtinhaber zu. Diese haben aber keinerlei Interesse
daran, die Nutzung ihrer Werke auf 12% etc. zu beschränken. Sie sind als Autoren i.d.R. auch Nutzer und Nutzerinnen von Werken
Dritter und wollen diese in einem für sie relevanten Umfang nutzen. Sie erhalten von der VG-Wort (auf Antrag) eine
(nutzungsunabhängige) Entschädigung für ihre publizierten Werke für das Jahr, in dem sie publiziert wurden. Und in seltenen Fällen
erhalten sie auch eine Vergütung über den Vertrag mit dem publizierenden Verlag.
Ist dem so, dann macht auch die leicht grotesk anmutende Vergütungsregelung im Vertrag keinen Sinn: 0,008 Euro pro Seite und
Unterrichtsteilnehmer bzw. Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt: Das macht bei einem Forschungsprojekt von 5 Mitgliedern (das
ist schon ein sehr großes Projekt bei der DFG) für die Nutzung eines 30-seitigen Textes aus einem größeren Buch 1,2 Euro an
Vergütung aus.
Um diesen Betrag über die VG-Wort dann eventuell Autoren und Autorinnen zugutekommen zu lassen, muss nunmehr Folgendes nach §
5 des Vertrags geschehen:
Aus einem größeren Werk muss genau berechnet werden, wie viele Seiten 12% des Werks ausmachen (Leerseiten und Seiten, auf denen
überwiegend Bilder sind, zählen nicht). Dann müssen diese Seiten kopiert und mit ihnen eine gesonderte Datei erstellt werden, die
dann zur Nutzung bereitgestellt werden darf. Weiter verpflichtet sich die dem Vertrag beigetretene Hochschule bzw.
wissenschaftliche Einrichtung „zur Erfassung und Meldung werkbezogener Nutzungsdaten an die VG Wort über ein von der VG Wort
bereitgestelltes Meldeportal“. Die Hochschulen dürfen entscheiden, ob sie das Meldeportal direkt in ihr eigenes
Lernmanagementsystem integrieren oder manuell die Meldung in das VG Wort Portal eingeben.
Die Meldung hat grundsätzlich „unverzüglich“ zu erfolgen (man beachte die politische Sprengkraft von „
unverzüglich“ seit Schabowskis Reiseerlaubnis). Und die VG-Wort darf schließlich die „Vollständigkeit und Korrektheit
der Meldungen“ bei den nutzenden Organisationen überprüfen! Und dann muss noch ein hochschulinternes Abrechnungssystem
entwickelt werden, um die Kosten gerecht aufzuteilen.
Es bedurfte nicht erst der
eindeutigen Ergebnisse der Pilotstudie der Universität Osnabrück,
um zu erkennen, dass dieser immense
Aufwand für die Lehrenden und Forschenden und die zusätzliche Bürokratie für die Einrichtungen nicht zuzumuten ist und, was
folgenreicher ist, auch nicht geleistet werden wird. Die Aussage ist aber nun empirisch durch die Resultate der Osnabrücker
Erhebungen begründet.
Die Folgen vor allem für die Ausbildung sind absehbar: Es werden wohl kaum noch elektronische Semesterapparate eingerichtet. Die
Studierenden werden wenn überhaupt kopierte und ausgedruckte Vorlagen in Aktenordnern erhalten; sie werden auf Selbsthilfe
angewiesen sein oder auf die Suche in Google oder Wikipedia verwiesen. Die Qualität der Ausbildung wird drastisch sinken. In
Forschungsgruppen wird man sich diesen Aufwand erst recht nicht zumuten. Hier wird man (legale und nicht so legale) Wege finden,
die Werke einzusehen und zu nutzen, die man braucht.
Also was soll das alles? Der Vertrag hat eine Laufzeit bis Ende 2019. Bis dahin wird es kaum eine Änderung bei den rechtlichen
Vorschriften geben, die dann den Verlagen eventuell doch wieder einen Anteil an den Ausschüttungen zubilligt.
Das Aktionsbündnis hält grundsätzlich eine nutzungsbedingte Vergütung von Werken, die überwiegend durch öffentliche Finanzierung
entstanden sind, nicht für zwingend erforderlich. Soll sie aber doch erfolgen, dann ist nur eine pauschale Abrechnung sinnvoll und
zumutbar.
Dem Aktionsbündnis ist natürlich bewusst, dass der BGH verschiedentlich ein Vergütungsverfahren angemahnt hat, dass auf
individuelle Nutzung abhebt. Eine individuelle Abrechnung mag aus einer technologischen Perspektive machbar sein, aber trägt
keineswegs den sozialen und ökonomischen Kosten Rechnung und entspricht in keiner Weise den in Bildung und Wissenschaft
etablierten Nutzungs- und Kommunikationsformen. Daher sollte auch hier die Vertragsautonomie ausgenutzt werden.
Der Gesetzgeber hat alle Autorität, in seiner angekündigten Allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke eine pauschale
Vergütung vorzusehen. In diesem Fall sollte dann auch der BGH nicht länger auf seiner einfach nicht praktikablen individuellen
Vergütung und Abrechnung bestehen. Und VG-Wort und KMK sollten zu ihrer bis Ende 2016 noch geltenden pauschalen Vergütung
zurückkehren. Nachverhandelt werden muss sowieso.
Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft”
V.i.S.d.P. Prof. Dr. Rainer Kuhlen (Sprecher)
PDF-Version
Die dem Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ zugrunde liegende Göttinger Erklärung wurde seit 2004 von
373 Fachgesellschaften, Verbänden, Institutionen und sechs Einrichtungen aus der Allianz der Wissenschaftsorganisationen sowie 7300
Einzelpersonen unterzeichnet. Das zentrale Ziel der Göttinger Erklärung gilt weiterhin:
In einer digitalisierten und vernetzten Informationsgesellschaft muss der Zugang zur weltweiten Information für jedermann zu jeder Zeit
von jedem Ort für Zwecke der Bildung und Wissenschaft sichergestellt werden!
Aus urheberrechtlicher Sicht soll dieses Ziel durch eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsklausel erreicht werden.
Das Aktionsbündnis stützt sich in seiner Arbeit auf eine 18-köpfige Lenkungsgruppe. Sprecher des Aktionsbündnisses sind derzeit
Prof. Dr. Rainer Kuhlen, Oliver Hinte und Dr. Harald Müller.
Further information on the topic of a Copyright for Education and Research can be
found at IUWIS.
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