Stellungnahme des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“
zum
„Referentenentwurf zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes“
Berlin, 6. November 2020
Das Aktionsbündnis nimmt wie folgt insgesamt und zu einzelnen Punkten des Diskussionsentwurfs Stellung:
A. Allgemein
Das Aktionsbündnis begrüßt die frühe Beteiligung der Fachöffentlichkeit durch das BMJV am Gesetzgebungsverfahre, ebenso, dass, wie vorgesehen,
die eingegangenen Stellungnahmen öffentlich zugänglich gemacht werden.
Das Aktionsbündnis hat immer schon eine Doppelstrategie verfolgt: Zum einen eine grundlegende Veränderung des Wissenschaftsurheberrechts zu fordern,
welche jenseits der oft stark eingeschränkten Schrankenregeln auf eine umfassend freie Bildungs- und Wissenschaftsklausel setzt. Zum andern bemüht
sich das Aktionsbündnis mit konkreten konstruktiv-kritischen Vorschlägen die bestehenden bzw. in der Planung befindlichen Schrankenregelungen
zugunsten einer freien Nutzung publizierten Wissens zu verbessern.
Teil B stellt, entsprechend des ersten Teils der Strategie, den jetzigen RefE in einen größeren Kontext und hinterfragt den RefE grundsätzlich.
Teil C geht ausführlich auf die Regulierungsvorschläge in konkreten §§ des RefE ein, wobei einige Vorschläge als positiv gewertet,
bei anderen Verbesserungsvorschlägen bzw. Vorschläge zur Erweiterung des jetzt vorgesehenen Regulierungsspektrums eingebracht werden.
B. Grundsätzliche Kritik
1. Der RefE geht überwiegend auf Maßnahmen ein, die vom BMJV im Rahmen der Umsetzung von EU DSM-RL als erforderlich angesehen werden. Der RefE
-
„verzichtet darauf, Vorschläge aus dem [früheren — AB] Konsultationsprozess zu adressieren, die darauf abzielen, die durch das UrhWissG eingeführten
§§ 60a bis 60h UrhG unabhängig von den Maßgaben der DSM-RL zu ändern. Die Bewertung solcher Petita kann im Rahmen der gemäß § 142 UrhG
vorgesehenen Evaluation des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes erfolgen.“ (S. 97 RefE)
Die Evaluation ist auch weiter in § 142 UrhG-E vorgesehen. Die in § 142 UrhG ursprünglich vorgesehene Entfristung (bei positiver Evaluation)
bzw. die Löschung von Teil 1 Abschnitt 6 Unterabschnitt 4 ab dem 1. März 2023 soll nach § 142 UrhG-E wegfallen. Man wird davon ausgehen können,
dass die jetzt an den §§ 60a-60h vorzunehmenden Änderungen auch Teil der Evaluation sein werden.
2. Die Evaluation soll erst 2022 stattfinden.
a) Das ist noch eine lange Zeit, in der die Akteure in Bildung und Wissenschaft weiter mit ungelösten, von den §§ des UrhWissG
unabhängigen Problemen aus früheren deutschen Urheberrechtsreformen und anderen ungelösten Problemen konfrontiert werden, z.B. die unzureichende
Regelung zum Zweitverwertungsrecht (vgl. C, XVII, 2), das unbrauchbare Gesetz für verwaiste Werke und — besonders bedauerlich in der Situation
der Pandemie — eine fehlende Regelung der Nutzung (e-Lending) von eBooks (vgl. C, XVII, 3).
b) Vor allem ist es trotz verschiedener Mahnungen, nicht zuletzt durch den Bundesrat, bislang nicht gelungen, die gesamte Problematik der
Vergütungsverpflichtungen für Nutzungen in Bildung und Wissenschaft konstruktiv anzugehen. Die jetzigen Anpassungen in den 32er-Paragraphen-Bereich
sind ihrer komplizierten Verschränkungen kaum nachvollziehbar und tragen schon gar nicht der in Bildung und Wissenschaft immer stärker für
selbstverständlich gehaltene Nutzungsfreiheit von mit öffentlichen Mitteln entstandenen bzw. erworbenen Wissensobjekten Rechnung.
Insgesamt fordert das Aktionsbündnis die Bundesregierung auf, den gesamten Bereich der 32er §§ an die besondere Situation in Bildung
und Wissenschaft anzupassen. Anders als es auf den Publikumsmärkten der Fall ist, ist das monistische Prinzip der Einheit von vermögensrechtlichen
und urheberpersönlichkeitsrechtlichen Ansprüchen auf überwiegend öffentlich finanzierte Wissenschaftler nicht anzuwenden. Die Nutzung von öffentlich
gemachten und von den Bibliotheken erworbenen bzw. lizenzierten Werken des mit öffentlichen Mitteln geförderten Wissens sollte vergütungsfrei nutzbar sein.
Die schon mit Blick auf TDM von der EU und nun auch von der Bundesregierung übernommene vergütungsfreie Nutzung sollte generell auf Anwendungen in Bildung
und Wissenschaft übernommen werden.
c) Das Aktionsbündnis fordert die Bundesregierung auf, die jetzt durch die DSM-RL Umsetzungserfordernis nötig gewordene Reform des Urheberrechts dazu
zu nutzen, Lösungen für solche problematischen Überbleibsel früheren Reformen zu finden.
3. Der RefE macht es den Akteuren in Bildung und Wissenschaft äußerst schwer, sich einen Eindruck über die Konsequenzen der jetzt angestrebten
Anpassungen zu verschaffen. Es fehlt eine synoptische Übersicht über die jetzt bestehenden und die dann neuen Regulierungen.
Das Aktionsbündnis sieht sich nicht in der Lage, auf alle Änderungen und Anpassungen im RefE angemessen zu reagieren. Gesetze bzw. Gesetzentwürfe
müssen von den davon betroffenen Akteuren und nicht nur von Fachjuristen verstanden werden können.
4. Tatsächlich scheint der jetzige RefE in vielerlei Hinsicht trotz einiger für Bildung und Wissenschaft positiver Elemente eher ein Rückschritt
gegenüber dem UrhWissG zu sein. Die Regierung hatte an den dem UrhWissG vorausgegangenen Rechtsstand nach dem Ersten und Zweiten Korb vor allem
kritisiert, dass die Regelungen für die Betroffenen/Akteure in Bildung und Wissenschaft kaum verstanden, geschweige denn rechtssicher angewendet
werden konnten.
Das UrhWissG wurde häufig als Fortschritt in Richtung von Rechtssicherheit (allerdings unter Verlust von Zukunftsoffenheit) und von Verständlichkeit
und damit Nutzungsfreundlichkeit angesehen. Der jetzt vorgelegte RefE wird kaum als weiterer Fortschritt in Richtung nutzerfreundlicher Verständlichkeit
gewertet werden können. Viele der neuen bzw. angepassten Regulierungen sind jetzt so hyperkomplex angelegt und im gesamten System oft unüberschaubar
vernetzt und für die davon Betroffenen kaum mehr verständlich. Als Beispiel dafür sei die Anpassung von Abs. 2 Nummer 2 von § 60h genannt:
-
„2. Vervielfältigungen zum Zweck der Erhaltung gemäß § 60e Absatz 1 und 6 sowie § 60f Absatz 1 und 3 sowie zum Zweck der
Indexierung, Katalogisierung und Restaurierung nach § 60e Absatz 1 und § 60f Absatz 1“
Auch ist die Vielfalt der 32er-§§-Regelungen in ihrer Komplexität nicht mehr zu durchschauen. Vgl. auch die hyperkomplexe und
umfängliche neue Regelung von § 60d zum Text und Data Mining in wissenschaftlichen Umgebungen.
5. Das Aktionsbündnis sieht sich daher in seiner schon seit langem kommunizierten Einschätzung bestätigt, dass es nicht mehr sinnvoll ist,
die Nutzung von publiziertem Wissen in Bildung und Wissenschaft durch ein Netzwerk von verschiedenen, kleinteiligen, untereinander verflochtenen
und in den Nutzungserlaubnissen häufig eingeschränkten und für die Nutzer in den Details kaum nachvollziehbaren und untereinander referentiell
verschränkten Schrankenregelungen zu regulieren.
Das Ziel muss weiter sein, ein einfaches, übersichtliches und die Akteure in Bildung und Wissenschaft beförderndes und nicht behinderndes
Wissenschaftsurheberrecht mit einer Allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsklausel zu schaffen, das sich bezüglich Zugriff und Umfang allein
an dem Zweck der Nutzung in Bildung und Wissenschaft und an dem Prinzip der allgemeinen Nutzungsfreiheit orientiert.
Ein solches einfaches, wirksames und nutzungsfreundliches Urheberrecht ist auch mit den Vorgaben der EU verträglich. Der weiter bestehende
und damit gültige Art. 5, 3, a aus der InfoSoc Richtlinie von 2001 („use for the sole purpose of illustration for teaching and scientific
research ...“) macht ein solches Wissenschaftsurheberrecht möglich.
C. Änderung des Urheberrechtsgesetzes
I. § 23 UrhG-E
Auch wenn das BMJV an die Entscheidung des EuGHs gebunden ist, schlägt das Aktionsbündnis vor, dass in dieser Vorschrift in Anlehnung
an das „Fair Use“ Prinzip eine Bagatellklausel eingebracht wird. Eine solche Klausel würde Kreativität bei Re-Mixen, Sampling, usw. fördern.
Das Gegenteil ist nun der Fall. Denn wie soll der Künstler einschätzen, ob seine Bearbeitung „hinreichenden Abstand zum verwendeten Werk wahrt“?
II. § 32a UrhG-E
Die Absenkung der Schwelle für die Nachvergütung wird begrüßt. Zudem ist die Vorschrift in der neuen Fassung einfacher zu verstehen als in der alten.
III. §§ 32d-f UrhG-E
Den Anpassungsvorschlägen in diesen Normen des Urhebervertragsrechts steht das Aktionsbündnis relativ offen gegenüber.
IV. § 32g UrhG-E
Das Aktionsbündnis ist skeptisch, ob diese Vorschrift nicht zu einer Verkomplizierung, statt zu einer gewünschten Vereinfachung von Verfahren
führen wird. Fragen zur Postulationsfähigkeit werden zu einem nicht zu unterschätzenden Problem werden.
Auf das grundlegende Problem der 32er-§§ bzw. das Problem der Vergütung für Nutzung publizierten Wissens in Bildung und Wissenschaft
wurde in B, 2, b eingegangen.
V. § 41 UrhG-E
Die Vorschrift dient der Umsetzung von Artikel 22 der RL. Die Regelung ist sinnvoll. Es ist wichtig, dass dem Urheber ein Instrument zur
Verfügung steht, bei Nichtausübung des Nutzungsrechts tätig werden zu können. Es wird begrüßt, dass dem Kreativen ein Wahlrecht zwischen
Rückruf des Exklusivrechts und Rückruf dessen Exklusivität eingeräumt wird.
VI. § 44b UrhG-E
Wir unterstützen die Einführung dieser Norm, die eine allgemeine Erlaubnisnorm für Text und Data Mining darstellt. Dies ist nur als
konsequent zu bezeichnen, da sich die Vorschrift des § 60d UrhG, die das Text und Data Mining im Bereich der Wissenschaft regelt,
in der Praxis bewährt hat.
VII. § 51a UrhG-E
Die neue Schranke für Karikatur, Parodie und Pastiche wird befürwortet. Insbesondere im Hinblick auf die Gewährung der Kunst- und Meinungsfreiheit,
erscheint die Einführung dieser Schranke sinnvoll und notwendig. Wie der Begriff des Pastiche in der Praxis seine Anwendung finden wird, bleibt
abzuwarten.
VIII. § 60d UrhG-E
Die in § 60d UrhG-E vorgesehenen Änderungen sind im Hinblick auf die Einführung der allgemeinen Text und Data Mining Schranke des § 44b
UrhG-E als konsequent und stimmig zu bezeichnen.
IX. § 60e UrhG-E
Auch wenn nur wenige Bibliotheken kommerzielle Zwecke verfolgen, wird die Ergänzung der Vorschrift um Absatz 6 begrüßt.
X. § 60f UrhG-E
Hier gilt das gleiche wie bei IX.
XI. § 60h UrhG-E
Die Ergänzungen sind aufgrund der Einführung des § 44b nur folgerichtig.
XII. §§ 61d-g UrhG-E
1. Die Einführung des Begriffs „Nicht verfügbare Werke“ als Fortentwicklung des Begriffs der „vergriffenen Werke“ erscheint konsequent.
Es sollte jedoch durch die Ausführungsbestimmungen deutlich gemacht werden, welches der intensionale und extensionale Gehalt dieses im
Urheberrecht neuen Begriffs anvisiert wird. Durch diese Erweiterung sollte die Anzahl der berücksichtigten, zu digitalisierenden und der
Öffentlichkeit zugänglich zu machenden Werke im Vergleich zu denen, die vom Begriff „vergriffene“ Werke umfasst sind erheblich größer
werden Die Formulierung des § 61d Abs. 1 UrhG-E, wonach die Zugänglichmachung ausscheidet, wenn die Rechte für ein Werk wahrgenommen
werden, ist bedauerlich. Schließlich ist der Rechteinhaber selbst dafür verantwortlich, wenn das Werk nicht verfügbar ist.
Die in § 61d Abs. 5 UrhG-E vorgesehene Vergütungspflicht auch für solche nicht verfügbaren Werke zu zahlen, für die es keine
repräsentative Verwertungsgesellschaft gibt, ist europarechtswidrig und auch rechtspolitisch abzulehnen. Die DSM Richtlinie verfolgt
ersichtlich die Intention, eine bessere Zugänglichkeit von kulturellem Erbe sicherzustellen. Dies soll dort, wo es keine repräsentativen
Verwertungsgesellschaften gibt, unentgeltlich geschehen. Wo die Richtlinie eine Vergütungspflicht zulassen will, wie etwa in Art. 5 Abs.
4, ist dies ausdrücklich geschehen, woraus im Umkehrschluss folgt, dass eine eigenmächtige Einfügung einer solchen Pflicht gegen die
Intention des Richtliniengebers unzulässig ist.
Die Vergütungspflicht ist auch rechtspolitisch nicht geboten. Die dafür angegebene Begründung, man wolle Urheber an der Verwertung teilhaben
lassen, verfängt nicht. Zum einen geht es bei der unentgeltlichen Zugänglichmachung durch gemeinnützige Kulturinstitutionen nicht um Verwertungen.
Zum anderen würden die Urheber selbst davon auch nicht profitieren, sondern nur die Verwertungsgesellschaften, die dieses Geld aber gerade nicht
an die betroffenen Urheber weiterleiten können, weil diese nicht entsprechend organisiert sind.
2. Die Möglichkeit des Rechteinhabers in Absatz 2 der Vorschrift, der Nutzung nach Absatz 1 jederzeit zu widersprechen entspricht den Vorgaben aus
Art. 8 der RL. Trotzdem ist sie zu bedauern, da sie ohne abschließende Frist keine Rechtssicherheit für den Nutzer entstehen lässt.
XIII. § 63a UrhG-E
1. Die Neufassung der Absätze 1 und 2 wird unterstützt.
2. In Absatz 3 sollte eine Wahlmöglichkeit für den Urheber eingeräumt werden, ob der Verleger an der Vergütung nach Absatz 1 beteiligt werden
soll oder nicht.
XIV. § 68 UrhG-E
Die Neufassung des § 68 wird begrüßt. Es ist konsequent, wenn nach dem Ende des Urheberrechtsschutzes am Original, der urheberrechtliche Schutz
der Vervielfältigungen ebenfalls entfällt.
XV. §§ 87f ff UrhG-E
Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger war schon beim Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse
des digitalen Binnenmarkts vorgesehen. Das Aktionsbündnis nimmt aber auch hier noch einmal dazu Stellung, weil eine Einführung dieses Rechts
auch Auswirkungen auf die im zweiten Entwurf vorgesehene Anpassung der Schrankenregelungen im UrhWissG (60a ff) haben sollte.
Das Aktionsbündnis schätzt weiter — wie schon bei dem ersten Versuch von 2013, ein Presseleistungsschutzrecht für Presseverleger
einzuführen — die Umsetzung der EU-RL in ein deutsches Leistungsschutzrecht als falsch, unnötig, die Situationen der Journalisten
nicht verbessernd und nicht zuletzt als die Nutzung in Bildung und Wissenschaft behindernd ein.
Wenn es bei diesem Leistungsschutzrecht bleibt, sollten zumindest die bei den Schrankenregelungen des UrhWissG vorgesehene
Bereichsausnahmen von Zeitungsartikeln in den §§ 60a, c, f UrhG wieder rückgängig gemacht werden. Es ist nicht nachvollziehbar,
warum die überaus starke Begünstigung von Presseverlegern durch das Leistungsschutzrecht weiter Auswirkungen auf die Schrankenregelungen
als gesetzlich erlaubte Nutzungen haben sollte. Die gesetzliche erlaubte Nutzung von Schrankenregelungen, vor allem in Bildung und Wissenschaft,
liegt im Gemeinwohlinteresse und sollte höher bewertet werden als das auf kommerzielle Verwertung abzielend Partikularinteresse von Presseverlegern.
XVI. § 142 UrhG-E
Zu Entfristung und Evaluierung vgl. B, 1.
XVII. Desiderate
1. §§ 60a-60h UrhG
a) Anhebung des zulässigen Nutzungsumfangs der §§ 60a und § 60c UrhG
In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Begrenzung auf 15% eines Werks häufig wenig Sinn macht. Weniger als 1/6 eines
Werks reicht häufig für die seriöse Interpretation eines Werks nicht aus. Das Aktionsbündnis ist weiterhin gegen jede
quantitative Beschränkung der Nutzung in Bildung und Wissenschaft. Wenn die Regierung in keinem Fall auf Einschränkungen
verzichten will, wäre mindestens eine Anhebung auf 25% erwünscht und für eine Übergangsphase akzeptabel.
§ 60a Abs. 3 Einfügung eines neuen Satzes:
-
„Satz 1 ist nur anzuwenden, wenn Lizenzen für diese Nutzungen leicht verfügbar und auffindbar sind, den Bedürfnissen und
Besonderheiten von Bildungseinrichtungen entsprechen und Nutzungen nach den Nummern 1 bis 3 erlauben.“
Es sollte eindeutig gemacht werden, wie „Bedürfnisse und Besonderheiten“ zu verstehen sind.
b) Streichung der Bereichsausnahmen „Zeitung“ und „Schulbücher“ in §§ 60a, c, f UrhG
Gerade vor dem aktuellen Hintergrund des Pandemie-bedingt verstärkten Einsatzes von online Lehre und Unterricht, sollte den
Nutzern der Lern Management Systeme (LMS) durch relativ willkürlich implementierte Bereichsausnahmen die sachgerechte Nutzung
der Systeme nicht zusätzlich erschwert werden. Einzelne Artikel aus Tageszeitungen können vielmehr dazu führen, dass der Verkauf
derselben wieder zunimmt, wenn neue Lesergruppen durch die gute Qualität der Veröffentlichung gewonnen werden können.
Vergleichbar ist die Situation bei Schulbüchern in Schul-LMS. Schulbücher, deren Ausschnitte in LMS auf gute Resonanz stoßen,
werden in absehbarer Zeit als Gesamtwerke zum Einsatz kommen. Dies ist vor allen Dingen von Bedeutung, da momentan Papierkopien
aus praktischen Gründen gar nicht zum Einsatz kommen können. Mangelnde (auszugsweise) Vielfalt im Angebot führt unweigerlich zu
einer Monopolisierung im Angebot, was auch unter didaktischen Aspekten nicht gewollt sein kann.
c) Erweiterung des § 60a UrhG um die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Nutzung der Inhalte gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie
Im Hinblick auf grenzüberschreitend tätig werdende Bildungseinrichtungen, wie zum Beispiel der FernUniversität in Hagen, sollte die
Möglichkeit der grenzüberschreitenden Nutzung der Inhalte gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie in die Vorschrift des § 60a UrhG
mit aufgenommen werden.
Die Bundesregierung sollte die von der EU eröffnete Möglichkeit, auf eine Vergütung der Lehre in diesem Fall zu verzichten, aufgreifen
und Nutzungen für § 60a grundsätzlich aussetzen. Auch der Bundesrat hatte damals bei der Beratung des UrhWissG der Bundesregierung
nahegelegt, die Vergütungsproblematik für Lehre und Lernen neu zu bedenken.
d) Streichung von § 60e Abs. 4 Satz 1 UrhG
Die EU hatte selbst schon die Sinnhaftigkeit der On the spot-Regelung (Nutzung nur an Terminals in den Räumen der Bibliothek) in Zweifel
gezogen. Diese Regelung ist unzeitgemäß, lästig und teuer und sollte gestrichen werden.
Weiter sollte die Umfangsvorgabe (hier wie auch in allen anderen Schrankenregelungen) von 10% erlaubten Vervielfältigungshandlungen
ganz gestrichen werden bzw. zumindest auf 25% erhöht werden.
Bei der Erweiterung von § 60e um einen neuen Absatz 6
-
„(6) Für öffentlich zugängliche Bibliotheken, die kommerzielle Zwecke verfolgen, ist Absatz 1 für Vervielfältigungen zum Zweck der
Erhaltung eines Werkes entsprechend anzuwenden.“
stellt sich die Frage, warum hier nicht Abs. 2 (Restaurierung) und 3 (öffentlicher Ausstellung oder zur Dokumentation des Bestandes)
ebenfalls berücksichtigt werden.
e) Erweiterung von § 60f Archive:
„(3) Für Archive, Einrichtungen im Bereich des Film- oder Tonerbes sowie öffentlich zugängliche Museen, die kommerzielle Zwecke verfolgen,
ist § 60e Absatz 1 für Vervielfältigungen zum Zweck der Erhaltung eines Werkes entsprechend anzuwenden.“
Auch hier stellte sich die Frage, warum nicht auch Abs. 2 und 3 von 60e berücksichtigt werden. Zudem kritisiert das Aktionsbündnis entschieden,
dass Archiven weiter die öffentliche Zugänglichmachung verwehrt wird. Dem liegt ein Verständnis von Archiven zugrunde, dass von vielen Archivaren
nicht mehr geteilt wird. Archive sind keine geschlossenen Dokumentationseinrichtungen, in denen vor Ort geforscht werden kann, sondern der
Öffentlichkeit verpflichtete Informationseinrichtungen bzw. im Sinne von § 61d (s. unten) “Kulturerbe-Einrichtungen“
§ 61d Nicht verfügbare Werke
In Abs. 2
-
„Kulturerbe-Einrichtungen dürfen nicht verfügbare Werke aus ihrem Bestand der Öffentlichkeit zugänglich machen und zu diesem Zweck
vervielfältigen, wenn keine repräsentative Verwertungsgesellschaft die Rechte für die Nutzung der jeweiligen Arten von Werken wahrnimmt.“
legt die Formulierung „der Öffentlichkeit zugänglich machen“ nahe, dass Archive, die zweifellos Kulturerbe Einrichtungen sind, auch
auf § 19 UrhG (§ 19a Recht der öffentlichen Zugänglichmachung) zurückgreifen können — mit Folgen für § 60f (s. oben)
f) Problematisch ist § 63a durch Abs. 2:
-
(2) Ansprüche nach Absatz 1 können nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden, die Rechte von Urhebern und Verlegern
gemeinsam wahrnimmt.
Hierdurch wird, wie es in einigen Kreisen der wissenschaftlichen Fachwelt und der Zivilgesellschaft diskutiert wird, die Gründung einer
Verwertungsgesellschaft, die sich allein an den Interessen der Wissenschaft orientiert, ausgeschlossen bzw. unmöglich gemacht.
Das Aktionsbündnis hat erhebliche Zweifel, ob diese gemeinsame Verpflichtung auf Interessen von Urhebern und Verlegern haltbar ist.
g) In § 68 Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke
sollte deutlich gemacht werden, dass dies auch für Bildung und Wissenschaft gilt.
h) Die vorgeschlagenen Änderungen in § 69a (Schutz Computerprogramme), § 68
Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke und in § 87d Schranken des Rechts des Datenbankherstellers sind komplex und für die
davon betroffenen Akteure in Bildung und Wissenschaft weitgehend unverständlich. Die Folgen für die §§ 60a — 60d sind
kaum absehbar.
i) 87er-§§ und § 127b
Das diesen §§ zugrundeliegende Verständnis des Begriffs “Presseverleger”, mit der Orientierung an der Institution eines
Presseverlags, ist im Zeitalter der verlagsunabhängigen, aber ebenfalls Presseleistungen erbringenden Internetdiensten und Informationsleistungen
für die Öffentlichkeit erbringenden zivilgesellschaftlichen Initiativen überholt bzw. orientiert sich überwiegend an den Schutzinteressen
professioneller Presseverleger.
Ebenso sind die für Presseverleger zutreffenden Übergangsregelungen §137q (Übergangsregelung zur Verlegerbeteiligung )
und § 137r (Übergangsregelung zum Schutz des Presseverlegers diesem hier kritisierten engen Verständnis von Presse geschuldet.
j) § 95b
Nicht zuletzt durch die Verflechtung von § 95b mit § 69f ¬— letzterer in Abs. 3 ein Musterbeispiel für eine
hyperkomplex gewordene Regelung:
-
„(3) Auf technische Programmschutzmechanismen ist in den Fällen des § 44b, auch in Verbindung mit § 69d Absatz 4,
des § 60a, auch in Verbindung mit § 69d Absatz 5, des § 60e Absatz 1 oder 6 sowie des § 60f Absatz 1 oder 3 nur
§ 95b entsprechend anzuwenden.“ —
ist die Anpassung von § 95b vor allem durch Abs. 3 ein weiteres Beispiel für Hyperkomplexität.
a) Absatz 3 wird wie folgt gefasst:
-
„(3) Werden Werke und sonstige Schutzgegenstände der Öffentlichkeit auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung nach
§ 19a öffentlich zugänglich gemacht, so gelten die Absätze 1 und 2 nur für gesetzlich erlaubte Nutzungen gemäß
den nachfolgend genannten Vorschriften:
-
1. § 44b,
-
2. § 45b,
-
3. § 45c,
-
4. § 60a, soweit er digitale Nutzungen unter Verantwortung einer Bildungseinrichtung in ihren Räumlichkeiten oder an
anderen Orten oder in einer gesicherten elektronischen Umgebung erlaubt,
-
5. § 60d, soweit er Forschungsorganisationen sowie öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Archiven, Einrichtungen im
Bereich des Film- oder Tonerbes und öffentlich zugänglichen Museen Vervielfältigungen erlaubt,
-
6. § 60e, soweit er Vervielfältigungen zum Zweck der Erhaltung erlaubt, sowie
-
7. § 60f, soweit er Vervielfältigungen zum Zweck der Erhaltung erlaubt.“
Die Regelung in § 95b sollte ganz anders, nämlich einfach und deutlich sein: Das Aktionsbündnis setzt sich dafür ein,
dass technische Schutzmaßnahmen (Digital Rights Management) in den in Bildung und Wissenschaft rechtmäßig genutzten Werken
nicht zur Anwendung kommen dürfen.
2. Ausweitung bzw. Klarstellung von § 38 Abs. 4 UrhG
Das Aktionsbündnis ist der Ansicht, dass sich die Vorschrift zur Zweitveröffentlichung in der Praxis nicht bewährt hat
bzw. von den in der Wissenschaft Tätigen so gut wie gar nicht angenommen wird. Der Grund dafür liegt in den vielfältigen
Einschränkungen bei der Wahrnehmung dieses Rechts. Das Aktionsbündnis hatte mehrfach auf diese Unzulänglichkeiten in
§ 38 Abs.4 hingewiesen (z.B. in einem Folder von 2015)
Zumindest sollte jetzt eindeutig klargestellt werden, dass durch § 38 Abs. 4 auch die grundfinanzierte
Hochschulforschung durch dieses Recht eingeschlossen ist Der Text der Vorschrift könnte daher wie folgt formuliert werden:
„Der Urheber jedes wissenschaftlichen Beitrags, der im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten
Forschungstätigkeit entstanden ist, wird durch § 38 Abs. 4 begünstigt...“
3. E-Lending; Erweiterung von § 27 UrhG
In immer größerer Anzahl erscheinen Werke nur noch auf elektronische Weise. Da auf diese Veröffentlichungen der Erschöpfungsgrundsatz
bisher keine Anwendung findet, sollten, zur Sicherstellung der Informationsversorgung, Rechteinhaber dazu verpflichtet werden, auf dem
Markt erhältliche elektronische Publikationen jedermann und jeder Institution anbieten zu müssen. Der Preis für eine Institution darf
dabei den Preis für eine Privatperson nicht um mehr als 300% überschreiten.
Ein Formulierungsvorschlag könnte entsprechend des Vorschlags des dbv lauten:
- In § 27 Abs. 2 UrhG wird ein neuer Satz 2 eingefügt: Beim Verleihen von Medienwerken in unkörperlicher Form gelten die
Regelungen über das Verleihen nach § 17 Abs. 2 entsprechend.
- Der neue Satz 3 (bisher Satz 2) ist zu ändern in: Verleihen im Sinne von Satz 1 und Satz 2 ist…
D. Änderung des Verwertungsgesellschaftsgesetzes
Im Mittelpunkt der Änderungen stehen die Regelungen zu den sogenannten Kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung
(§§ 51-51f VGG-E, kurz KLW).
Der mit diesem neuen Rechtsinstrument verfolgte Ansatz, die Nutzung einer größeren Anzahl von Werken auf vertraglicher
Basis zu erleichtern, ist grundsätzlich zu begrüßen. In der Praxis zeigt sich nämlich häufig, dass größere Projekte mit
verschiedenen Rechteinhabern erst einmal nicht durchgeführt werden können, weil ein Rechteinhaber nicht ermittelt und
damit seine Einwilligung nicht eingeholt werden kann. Die KLW, die nach den Voraussetzungen des § 51 VGG-E abgeschlossen
werden kann, wirkt dann auch für und gegen die sogenannten „Außenstehenden“.
Ein Beispiel, das durch KLW leichter vorangebracht werden könnte, sind größere Digitalisierungsprojekte von Zeitungen oder
Zeitschriften. Mit Beiträgen von unterschiedlichen Autoren, müssen bisher für deren Digitalisierung die Rechte bei jedem
einzelnen eingeholt werden. § 51 Abs. 3 Nr. 4 VVG-E lässt davon nun ausdrücklich Ausnahmen zu.
V.i.S.d.P. Prof. Dr. Rainer Kuhlen (Sprecher), Oliver Hinte (Sprecher)
Die dem Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ zugrunde liegende Göttinger Erklärung wurde seit 2004 von
374 Fachgesellschaften, Verbänden, Institutionen und sechs Einrichtungen aus der Allianz der Wissenschaftsorganisationen sowie 7300
Einzelpersonen unterzeichnet. Das zentrale Ziel der Göttinger Erklärung gilt weiterhin:
In einer digitalisierten und vernetzten Informationsgesellschaft muss der Zugang zur weltweiten Information für jedermann zu jeder Zeit
von jedem Ort für Zwecke der Bildung und Wissenschaft sichergestellt werden!
Aus urheberrechtlicher Sicht soll dieses Ziel durch eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsklausel erreicht werden.
Das Aktionsbündnis stützt sich in seiner Arbeit auf eine 18-köpfige Lenkungsgruppe. Sprecher des Aktionsbündnisses sind derzeit
Prof. Dr. Rainer Kuhlen, Oliver Hinte und Dr. Harald Müller.
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